Das Corona-Virus ist auch auf der Wiese angekommen

von m. swiergot (Kommentare: 0)

Das Corona-Virus verändert alles, zumindest für eine kurze Zeitspanne, die ein paar Wochen, vielleicht aber auch Monate andauern kann. Auf der Wiese sind die Folgen in besonderer Form spürbar – als eine ungewohnte Stille. Aus der Stadt dringt kaum noch Verkehrslärm herauf. Wenn in der Nachbarschaft nicht eine Gartenbau-Firma zugange wäre, man würde nur den Frühling hören, sonst nichts.

Diese Stille erinnert mich an meine Kindheit, als noch weniger Autos waren. Oder an die friedvoll-sonnige Stimmung einer Vorsaison auf irgendeiner Ägäis-Insel. Für manche mag sie Langeweile pur bedeuten, doch sie führt uns vor Augen, welches Spektakel das menschliche Treiben normalerweise auf der Welt verursacht. Saint-Exupéry sagte treffend: »Wie wenig Lärm machen die wirklichen Wunder«. Und eine besonders sympathische Verschwörungstheorie dieser Tage geht davon aus, dass die Natur ihrem größten Parasiten – dem Menschen – gerade eine kleine Denkpause verschafft.

Die Natur mag zwar durchatmen – so ist in China die Luftverschmutzung seit der Quarantäne erheblich zurückgegangen –, für die Gesellschaft ist die Corona-Krise jedoch eine große Belastung. Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden vermutlich verheerende soziale Folgen haben. Und schon jetzt ist absehbar, dass die Schwächsten der Gesellschaft darunter leiden. Dazu habe ich ein Interview mit dem Konfliktforscher Andreas Zick geführt und einen Artikel zur erwarteten häuslichen Gewalt geschrieben.

Traumatisierung der Gesellschaft ist absehbar

Ich würde sogar noch weiter gehen und vermuten, dass der Anstieg der Gewalt eine versteckte Traumatisierung der Gesellschaft nach sich zieht, die den meisten heute noch nicht bewusst ist. Denn was passiert, wenn jetzt Abertausende Frauen und Kinder noch mehr geschlagen und missbraucht werden? Die psychischen Schäden selbst in der nächsten Generation dürften ähnlich massiv sein wie man es nach allen Krisen und Kriegen festgestellt hat.

Auch eine neue und starke Armutserfahrung für große Teile der Bevölkerung könnte die Folge sein. Die Schere zwischen Arm und Reich wird nach der Krise noch weiter auseinandergehen. Und Armut sorgt – wie Einsamkeit, die in diesen Tagen ebenfalls zunimmt – für psychische und physische Krankheiten. Das heißt aber auch, es gibt für diese Gesellschaft, die den Zweiten Weltkrieg noch in den Knochen hat, keine Erholung.

Und es ist nicht so, dass diese Gesellschaft psychisch stabil genug wäre, um ein weiteres Trauma dieses Ausmaßes überhaupt zu verkraften. Wäre sie es, gäbe es weniger emotionalen Mangel, weniger Narzissmus und in der Folge weniger Gewalt. Stattdessen ist die verletzte und verletzliche Gemeinschaft derzeit mit weiteren Stressoren belastet: Klimawandel, Ressourcenknappheit, Artenschwund. Das alles erzeugt Gefühle von Hilflosigkeit, Angst und Ohnmacht.

Viele Menschen sind dennoch sehr kreativ und sozial im Umgang mit der Krise. SchülerInnen gehen für alte Menschen einkaufen, manche sammeln Müll in den Parks, die Naturschutzverbände bieten Online-Aktionen für Kinder und Jugendliche. Aber womöglich hat die Mehrheit gar keinen Zugang zu ihren kreativen Ressourcen. Beim Blick auf die gesellschaftlichen Probleme darf nämlich der eigene Bias nicht vergessen werden: Ist das Umfeld eher gebildet und wirtschaftlich abgesichert, wird man dort eher Lösungen zur Bewältigung der Krise sehen.

Augen auf bei Krisengewinnlern von rechts

Viele Menschen stehen aber schon jetzt ohnmächtig ihrer Lebenssituation gegenüber, sei sie nun prekär, alleinerziehend, vereinsamt, von Krankheit oder psychischer Instabilität geprägt. Und Ohnmacht bringt keine Kreativität, sondern Verzweiflung hervor. Wer jetzt seinen Minijob verliert, der die Familie gerade so über Wasser gehalten hat, wird sich kaum ehrenamtlich bei der Lebensmittelverteilung engagieren.

Für bundesweite Empörung hat die Meldung gesorgt, dass Kriminelle sich als Mitarbeiter der Gesundheitsämter ausgeben, um sich Zutritt in Wohungen zu verschaffen. Es ist perfide, denn vereinsamte alte Menschen sehnen sich gerade jetzt nach persönlicher Ansprache. Aus neutraler Sicht haben die Kriminellen jedoch »vernünftig« gehandelt: Sie haben ihre Überlebensstrategie sofort angepasst und somit kreativ auf die Situation reagiert.

Eine solche Reaktion ist auch von rechts zu erwarten: Es sei abzusehen, warnt der Wissenschaftler Zick, dass demokratiefeindliche Gruppen die aktuelle Lage ausnutzen werden. Wenn wir auch in der Krise menschlich bleiben wollen, sollten wir deshalb die Augen offen halten und auf die Schwächeren aufpassen. Abgesehen davon kann jede/r von uns selbst einmal dazu gehören.

Weitere Gedanken zur Krise demnächst hier im Blog.

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