Stadt Bielefeld will mehr Blumenwiesen schaffen
Positive Ergebnisse aus dem Modellprojekt Schlosshofbach • Blühwiesen günstiger als Englischer Rasen
von m. swiergot (Kommentare: 0)
Informationen aus erster Hand über den Naturschutz in und um Bielefeld gab es für die rund 80 Gäste, die zur Jahrestagung des Naturwissenschaftlichen Vereins Bielefeld ins Historische Museum gekommen waren. Vertreter des Umweltbetriebes, des regionalen Forstamtes sowie der umliegenden Biologischen Stationen hielten recht kurzweilige Vorträge, sodass die Diskussion mit dem fachlich versierten Publikum sehr angeregt verlief.
Thomas Finke, Leiter der Grünunterhaltung beim Umweltbetrieb, zeigte das Spannungsfeld auf, in dem er und sein Team sich bewegen. Sein Vortrag stand unter dem Thema »Naturnahe Flächenpflege im Stadtgrün – ein Widerspruch?« Diese Frage treibt auch andere Kommunen im Bundesgebiet seit Jahren um. Bielefeld wurde deshalb neben Heidelberg zur Modellstadt im »UrbanNBS«-Projekt. Für die Städte geht es vor allem darum, die Biodiversität, die Akzeptanz durch die Bevölkerung und die Kosten für eine veränderte Pflege unter einen Hut zu bringen.
Schlosshofbach-Grünzug als Modellprojekt
Finke stellte dazu erste Ergebnisse vom Projekt Schlosshofbach vor, dessen Förderung durch den Bund im Juni ausgelaufen ist. Auf rund 34 Hektar Fläche zwischen Meierteich und Westerfeldstraße hat die Stadt hier verschiedene Konzepte erprobt, um die Artenvielfalt zu erhöhen: Blühwiesen angelegt, die Art der Mahd geändert, Nistkästen aufgehängt, Totholz liegen gelassen, tote Bäume nicht gefällt, Steinhaufen aufgeschichtet. Begleitend wurde die Fläche mehrmals kartiert, es fanden Umfragen in der Bevölkerung statt, es gab eine begleitende Doktorarbeit, und: Die UWB-Mitarbeiter notierten zwei Jahre lang akribisch jede Minute ihrer Arbeitszeit in Excel-Tabellen.
Heraus kam nun, dass vor allem die Ansaatflächen erfolgreich waren: Die Pflanzen- und Tierarten nahmen hier deutlich zu, aus ehemaligem Kurzrasen wurde zum Beispiel eine prächtige Schmetterlingswiese. Die veränderte Wiesenpflege dagegen – kein Mulchen mehr, sondern Abfuhr des Mahdgutes – hat nicht den erhofften Effekt gebracht. Heuschrecken und Schmetterlinge blieben weiterhin aus. Doch Thomas Finke ist zuversichtlich: »Das dauert einfach und muss langfristig beobachtet werden.«
Auch beim Stichwort »Akzeptanz« bleibt er gelassen, denn natürlich sind ungemähte Wiesen vielen Menschen ein Dorn im Auge. Neben der Optik, gerade im Winter, habe bei den Umfragen auch die Angst vor Zecken und Samenflug eine große Rolle gespielt, so Finke. Doch er ist sich sicher: »Die Leute können wir mitnehmen.«
Naturnahe Flächen sind günstiger als Englischer Rasen
Interessante Ergebnisse haben die Excel-Tabellen zur Pflege der städtischen Grünflächen gebracht. Demnach ist der beliebte Kurzrasen im Unterhalt achtmal teurer als das zweimalige Mähen und Mulchen pro Jahr, wie es auf vielen brachliegenden Wiesenflächen geschieht. Wird das Mahdgut zusätzlich abgeräumt (was zu mehr Artenvielfalt auf der Wiese führt), ist dies wiederum dreimal teurer als Mulchen.
Für Thomas Finke ist damit klar: »Die Grünpflege in diesem Gebiet wird dauerhaft umgestellt«. Durch den Pflege-Spielraum zwischen den verschiedenen Flächen lasse sich kostenneutral arbeiten. Deshalb ist auch ein Blühwiesen-Konzept für das gesamte Stadtgebiet geplant; 33 Hektar Fläche werden dafür gerade sondiert, sogenannter Gebrauchsrasen und normale Wiese. Parallel dazu sollen alle Habitatbäume (also solche, die Lebensraum für Tiere bieten, z. B. eine Bruthöhle) in ein Baumkataster aufgenommen werden.
Dass es Bielefeld ernst ist mit der biologischen Vielfalt, zeigt außerdem die Bewerbung für das Label »Stadtgrün naturnah«, ebenfalls gefördert durch das Bundesamt für Naturschutz. Die Auszeichnung erhalten Kommunen, die ihre komplette Grünpflege umstellen, die Bürger und Bürgerinnen einbinden (z. B durch Umweltbildung) und auf dieser Grundlage dann eine Grünflächenstrategie entwickeln. Die ersten Mitstreiterinnen aus den Vereinen und Verbänden fanden sich gleich in den Reihen des Publikums.
Kritik am Mahdregime und dem Regio-Saatgut
Das Engagement des Umweltbetriebes wurde aber auch ernsthaft hinterfragt. So gab ein Zuhörer zu bedenken, dass der Zeitpunkt der Mahd hauptsächlich darüber entscheidet, ob sich überhaupt Insektenpopulationen entwickeln können – oder ob sie vorher »geschreddert «werden. Und Thomas Keitel, engagiert in der Arbeitsgruppe Geobotanik des NWV, sprach sich vehement gegen Blühmischungen aus, auch wenn sie als Regio-Saatgut deklariert seien. Keitel: »Deutschland ist in sieben Regionen aufgeteilt, da ist der Genpool des Ravensberger Hügellandes gar nicht vertreten, und wir bekommen dann eine Flockenbume oder einen Storchschnabel aus Emden. Das ist für mich nicht heimisch«.
Keitel plädierte deshalb für eine Saatgut-Übertragung nach der Mahd. Die richtigen Mahdtermine und das Ausbringen des Mahdgutes auf einer anderen Fläche seien effizienter als Einsaaten. Thomas Finke war diese Problematik nur zu gut bekannt, doch er hatte in beiden Fällen nur eine Antwort: »Das ist für uns in der täglichen Arbeit nicht leistbar.« Jede/r seiner 207 Mitarbeiter/innen habe rund 4,5 Hektar zu versorgen. Agiere der Umweltbetrieb zu "klein-klein“, sei er nicht mehr arbeitsfähig.
Ein anderer Zuschauer sprach ein Problem an, das nicht nur die Stadt, sondern fast jeder Extensiv-Bewirtschafter ohne eigene Tiere kennt: »Niemand nimmt uns das Gras ab«. Hier musste Finke eingestehen, dass auch die Stadt das Gras im ersten Jahr komplett entsorgt hat, seitdem aber in die Biogasanlage bringt. Da der erste Schnitt im Frühjahr meist zu lang ist, muss das Gras vorher zerkleinert werden, was dann wiederum die Kosten in die Höhe treibt.
Die vierte Dimension im Naturschutz: die emotionale Bindung
Das Wünschenswerte und das Machbare auf der einen Seite, der Spagat zwischen den verschiedenen Nutzergruppen auf der anderen – davon kann auch Holger-Karsten Raguse ein Liedchen singen. Der Leiter des Regionalforstamtes OWL wies in seinem Vortrag aber noch auf eine »vierte Dimension« von Natur hin: Neben Nutz- und Schutzfunktion sowie Erholung und Erlebnis spiele auch die emotionale Bindung eine große Rolle, gerade beim Thema Wald.
Raguse nannte ein paar Zahlen: So bestehe NRW zu 27 Prozent aus Waldfläche, zwei Drittel davon seien in privater Hand. In OWL seien Buche (28%) und Eiche (13%) dominant, der Laubwald mache rund 60 Prozent der Fläche aus. »Bunte, gemischte Wälder« bescheinigte der Forstdirektor auch der Stadt Bielefeld. Zum Glück, denn so richteten die Stürme und die Trockenheit der letzten zwei Jahre nicht so große Schäden an wie im Harz oder im Sauerland, wo die Fichte dominiert.
Dennoch: Auch in OWL mussten laut Raguse dieses Jahr 13 Millionen Festmeter Schadholz »entsorgt« werden, zum Teil nach China. Der Holzmarkt sei völlig übersättigt gewesen. Doch nicht nur die Fichte, auch die Buche sei mittlerweile zum Sorgenkind geworden, ihre Kronen würden licht, viele Bäume seien am Absterben. Die Eiche habe auf die anhaltende Trockenheit mit dem frühen Abwurf der Früchte reagiert.
Auch die Wälder sollen wieder vielfältiger werden
Wegen des Klimas will Raguse denn auch keine Prognose wagen. Niemand könne sagen, was innerhalb der nächsten 100 Jahre passiere – selbst mit robusten Bäumen, die normalerweise bis zu 400 Jahre alt werden. Die Empfehlung der Forstleute sei deshalb ein gesunder Mischwald, der aus verschiedenen Schichten und Altern aufgebaut sei. Die Douglasie sei in diesem Zusammenhang nur ein Baum unter vielen und »keine Wunderwaffe«, auch Flaumeiche, Esskastanie oder Weißtanne würden geprüft.
Neben der »Auflichtung« durch Stürme oder aus Gründen der Verkehrssicherung gibt es natürlich auch die »Entnahme« aus Gründen der Waldwirtschaft. NWV-Vorsitzende Claudia Quirini-Jürgens fragte den Forstdirektor deshalb, ob zu viel Auflichtung nicht für die »Brombeer-Explosion« sorge, die man in vielen Wäldern beobachten könne. Auch habe sie den Eindruck, dass geschlossene Buchenbestände gesünder seien.
Raguse bestätigte dies, das Mikroklima Wald brauche eine halbwegs geschlossene Krone. Auch im Wald gebe es jedoch immer den Spagat zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen: »Wir müssen schließlich auch wirtschaften.« Die Forstleute hätten allerdings dazugelernt: »Wir sind sensibler und bewusster geworden.«
Ackerrandstreifen-Programm Bielefeld und »Artenreiche Lebensräume« im Kreis Gütersloh
Quirini-Jürgens selbst, die bei der Bio-Station Gütersloh/Bielefeld arbeitet, berichtete anschließend von zwei Projekten, die schon seit vielen Jahren erfolgreich die Artenvielfalt im Kreis fördern. Einmal das Ackerrandstreifen-Programm in Bielefeld, das seit 1987 läuft. Zum zweiten das Projekt »Artenreiche Lebensräume« im Kreis Gütersloh, das seit April 2019 den Vorläufer »Artenreiche Feldflur« fortführt.
In und um Bielefeld werden laut Quirini-Jürgens pro Jahr rund 30 Flächen umgewandelt, stadteigene und private. Beteiligt sind viele Firmen, aber auch ökologisch wirtschaftende sowie konventionelle Landwirte. Die Biologin, die in beiden Projekten berät und koordiniert, machte im Laufe der Jahre viele gute Erfahrungen mit den Grundstückseigentümern: »Manche Arten wären ohne die Randstreifen eventuell gar nicht mehr da, zum Beispiel Stachys annua (einjähriger Ziest).«
Neben dem Ackerrand und Flächen im Acker sei die Schwarzbrache mit Selbstbegrünung sehr wertvoll, sie fördere Ackerwildkräuter, Feldlerche und Kiebitz. Mit Blick auf eine Phacelia-Fläche meinte Quirini-Jürgens, bei Einsaaten sei sie inzwischen »etwas kompromissbereiter« geworden: »Besser Regio-Saatgut als nichts.«
Auch beim Gütersloher Projekt geht es um die Beratung von Kommunen, Landwirten, Eigentümern, GaLa-Bauern und Firmen. Der Erhalt von artenreichem Lebensraum stehe an erster Stelle, danach folge die Optimierung verarmter Standorte, erst dann die Neuanlage von Biotopen. Die ersten Landwirte hätten sich schon bereiterklärt, Wildpflanzen wie Sonnenblumen und Malven zur Energieerzeugung anzubauen – als Alternative zum Maisanbau.
Auf öffentlichen Flächen sei vor allem eine angepasste Mahd wichtig, oft ließen sich dadurch vorhandene Bestände optimieren, es müsse dann gar nichts eingesät werden. Auch Firmen und Privatleute »können eine ganze Menge machen – mehr, als man glaubt«, so die Biologin. Diese Zielgruppen würden in einem zweiten Schritt angesprochen. Vor allem der Trend zum Schottergarten macht ihr zu schaffen, da gebe es noch großen Aufklärungsbedarf.
Kiebitzschutz – Kampf um jeden einzelnen Vogel
Einen fast schon beklemmenden Einblick in den praktischen Artenschutz gab abschließend Klaus Nottmeyer, Leiter der Bio-Station Ravensberg im Kreis Herford. Er berichtete, wenn auch humorvoll, vom aufwendigen Schutz des Ackervogels Kiebitz, der im Grunde ein Kampf um jeden einzelnen Vogel ist. Von etwa 20.000 Brutpaaren im Jahr 2009 seien in NRW nur noch rund 4800 übrig geblieben, im Kreis Herford davon rund 28 Paare.
Gründe sind die intensivierte Landwirtschaft mit größeren Flächen, vor allem aber auch der Gemüseanbau, der mit Folien arbeitet. Da der Kiebitz – ein ehemaliger Moorvogel – ohne Schutz auf dem offenen Acker brütet, wird er von Bauern beim Pflügen oft übersehen. Dazu kommen noch Störungen durch Menschen und Hunde sowie durch tierische Jäger wie den Fuchs.
Nottmeyer zeigte Bilder von kleinen Küken, die er und seine Helfer händisch auf dem Feld einsammelten und nach der Bearbeitung durch den Bauern wieder aussetzten. Infotafeln auf den Äckern sind die übliche Schutzvariante, viele Bauern umfahren dann diese »Kiebitzinseln«, aber sie sind ebenfalls noch zu ineffektiv. Einen Elektrozaun um den gesamten Acker zu spannen, war wiederum sehr aufwändig, da dieser von Aufwuchs freigeschnitten werden muss.
Nottmeyer plädiert deshalb für kombinierte Maßnahmen: »Nur die Gelege zu schützen reicht nicht.« Kiebitzinseln auf der Fläche müssten deshalb mit einer Einzäunung und einem Vertrag zur Ausgleichszahlung kombiniert weden. Außerdem will sich die Biostation verstärkt um feuchte Sonderstandorte wie Kläranlagen oder ungenutzte Restflächen kümmern, hier siedle sich der Kiebitz zunehmend an.
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